Gran Paradiso

Jedem Bergfreund geht bei dem Namen das Herz auf. Der Gran Paradiso ist der höchste Berg Italiens, der sich komplett auf italienischem Staatsgebiet befindet. Der Nationalpark Gran Paradiso ist eng verbunden mit dem Steinbock. König Vittorio Emanuel II. erklärte das Gebiet rund um den Gran Paradiso 1856 zum königlichen Jagdrevier – und bewahrte die Tiere somit vor der Ausrottung. Die Gründung eines spezialisierten Wachkorps sowie die Anordnung eines Wegesystems zum Schutz der Fauna, das gleichzeitig als Wanderroute diente, gehen ebenfalls auf sein Betreiben zurück. Vittorio Emanuel III. stiftete das Naturreservat 1920 dem italienischen Staat, der es 1922 in den ersten Naturschutzpark Italiens verwandelte.

Das Wetter heute ist grandios. Der Aufstieg führt durch eine wunderschöne Landschaft mit atemberaubender Fernsicht auf die 3000er des Parks. Munter sprudelnde klasklare Bäche, der Duft nach Latschenkiefern und Wachholder lassen Erinnerungen an Korsika aufkommen. Der bisher höchste Punkt meiner Wanderung, der Colle della Crochetta mit 2640 m ist bald erreicht. Den Abstieg (1620m!) lasse ich knieschonend langsam angehen. Unterwegs verbellen mich noch drei wachsame Herdenschutzhunde, denn auch hier sind Wölfe unterwegs.

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Höhenrausch

Das Refugio Barbara Lowrie soll heute mein Ziel sein. In Villanova, meinem Übernachtungsort, wohnen dauerhaft noch drei Menschen von ehemals ca. 100. Es ist die Familie Albarello, die das Posto Tappa betreibt. Barbara Lowrie ist schnell erreicht. Das Rifugio ist mit dem Auto erreichbar und dementsprechend frequentiert. Also weiter. Leider steige ich bei 2000 m wieder in eine Wolkenwand hinein. Kurz vor dem Colle Barant nehme ich mir die Zeit einen toll angelegten Alpino Gardino auf 2300 m zu besichtigen. Über 1000 alpine Pflanzen gedeihen hier wissenschaftlich betreut. Im Rifugio Pian del Re komme ich erst um 18 Uhr an. Ein Blick auf mein Navi sagt mir 2091 hm aufi. Puh!

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Im Monvisoland

Was für ein Berg! Spät abends zeigt er sich, majestätisch schiebt er die letzten Wolken beiseite.

Früh mache ich mich auf den Weg. Vorbei an der Po-Quelle, besichtige ich zunächst den Buco di Viso. Ein Frankreich und Italien verbindender, ca. 75 m langer Tunnel am Monviso, der zwischen 1479 und 1480 erbaut wurde. Er gilt damit als der älteste Tunnel der Alpen. Den ganzen Tag führt meine Tour entlang des Monvisos. Alle paar Minuten sind Felsabbrüche zu hören. Erst im letzten Jahr gab es einen riesigen Abbruch aus der Ostwand, der deutlich zu sehen ist. Das Rifugio Quintino Sella erreiche ich um die Mittagszeit. Sella war Wissenschaftler und leitete die Erstbesteigung des Monvisos. Er gilt als Begründer des italienischen Alpenvereins. Die Querung mehrerer Schneefelder bereitet keine Probleme. Der Abstieg führt durch den größten Arvenwald der Alpen, der hier auf 700 Hektar gedeiht. Ich nehme tolle Impressionen aus dem Naturpark Monviso mit.

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Der Rocciamelone

Mit 3548 m der höchste Wallfahrtsberg Europas. Es ist ein Muss ihn zu besteigen. Wenn er sich allerdings seit Tagen in Wolken befindet, macht es keinen Sinn. Am 5. August pilgern Scharen auf den Berg. Es ist der Tag der Madonna vom Schnee, die als Bronzestatue auf dem Gipfel steht.

Fast 20 km und 1520 hm aufi stehen heute an. Am Stausee beim Rifugio Vulpot zeigt sich: Natur ist für die meisten Italiener nur das, was mit dem Auto zu erreichen ist. Es ist Sonntag und ein Chaos hier oben. Ich halte mich nicht weiter auf, das Susatal, das letzte der drei Lanzo Täler wartet. Der Aufstieg geht flott und im Posto Tappa Il Truc erwartet mich Maria mit Familie. Sie haben sich ganz und gar auf GTA-Wanderer eingestellt und sind von diesem Jahr enttäuscht. Ich bin der einzige Gast, normalerweise sind sie um diese Zeit ausgebucht.

Ein Edelweiß gesichtet

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Susa

Beim Frühstück im Posto Tappa Il Truc ertönt plötzlich ein lautes Geschrei. Der Hund der Familie macht sich über die Hühner her, die Federn fliegen, Marias Mann schafft es nur schwer, ihn zu bändigen. Maria erklärt mir, dass es der Hund ihrer Schwester sei. So weit man es sehen kann, haben alle Hühner, wenn auch arg gerupft, überlebt. Das Frühstück lässt mal wieder keine Wünsche offen. Den 1200 m Abstieg ins Susatal gehe ich frisch gestärkt an. Das Tal wird durchzogen von der E70 nach Frankreich und ist dementsprechend laut. Man erinnert sich an die wütenden Proteste der Talbewohner gegen die Bahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke, deren Bau gerade erst genehmigt wurde. Eine Beichtigung der sehenswerten Altstadt lasse ich mir nicht entgehen, bevor es weiter nach Usseaux geht.

Leider muss man immer öfter solche Schilder lesen, viele Rifugios öffnen erst gar nicht.
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Irdische Bedürfnisse

Die Osteria de la Pace in Sambuco ist weit über die Region Cuneo bis München für ihre kulinarischen Köstlichkeiten bekannt. Natürlich steuere ich sie auf meinem Weg an. Sambuco, als ehemaliger Militärstandort, beheimatet, von ehemals mehr als 1000, nur noch 70 ständige Einwohner. Am nächsten Tag geht es tief hinein in die Seealpen zum Kloster Sant‘ Anna di Vinadio, mit 2035 m dem höchstgelegenen Kloster Europas. Die Legende berichtet von einem Mädchen Anna Bagnis, das während des Sommers dort oben ihr Vieh hütete. Eines Tages begegnete ihr an einem Felsblock die heilige Anna und trug ihr auf, ein Hospiz zu errichten, um den beschwerlichen Weg über den Pass zu erleichtern. Und so geschah es. Heute wird das Kloster als Priesterseminar genutzt und von Tausenden Touris besucht. Und natürlich werden wir als ruhebedürftige Wanderer – gegen Cash versteht sich – gerne aufgenommen. Sehenswert ist auch die Klosterkirche, die auf den Hang gebaut ist, d.h. zum Altar hin muss man ca. 2 m bergauf laufen! Sie ist mit Votivtafeln an den Wänden gepflastert, die heilige Anna ist die Patronin der Schwangeren und Beschützerin der Familien, so ist das Santuario hauptsächlich ein Frauen-Kultort. Das neben den spirituellen Bedürfnissen die irdischen Bedürfnisse nicht zurückstehen dürfen, zeigte sich leider beim Essen. Das Abendessen war sowohl quantitativ als auch qualitativ unakzeptabel. Marius, ein Franzose, der mit mir am Tisch saß und ich sahen uns danach genötigt, im Klostershop mit einer Schokolade unseren Hunger zu befriedigen. Natürlich mussten wir dabei den klostereigenen Grappa probieren, insofern ein netter Abend. Unsere Beschwerde beim Rektor am nächsten Morgen stiess auf Unverständnis. Schade!

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Bergwetter…    

Am Morgen in der Rifugio Morelli Buzzi läßt der Blick in den Himmel nichts Gutes erahnen. Cirruswolken überall. Ab Mittag wird wohl mit Regen zu rechnen sein. Mein letzter Pass steht an. Der Colle de Finestre mit 2425 m. Doch schon beim Abstieg vom Colle Valasco bricht das Wetter los. Hagel, Regen und Sturm. Auf dem Weg liegt die Rifugio Soria-Ellena, die ich schnellstens ansteuere und vor dem schlimmsten Wetter erreiche. Vor acht Jahren war ich auf einer Tour schon einmal in dieser Rifugio. Sie wird seit mehr als 20 Jahren von Mary gemanagt, einer Philipinin in den italienischen Bergen! Mary ist hier eine Institution. Jeder Bergfreund im Piemont kennt sie. Sie unterstützt mit dem Einkommen aus der Hütte ihre Familie. Und hat natürlich auch in diesem Jahr zu kämpfen. Neben einem Franzosen sind wir nur zwei Gäste und sie ist froh über jede Einnahme. Eine herzenzgute Frau. Am Morgen verabschieden wir uns herzlich, sie ist sicher, wenn ich in acht Jahren wieder vorbeischaue, wird sie noch da sein! In Madone de Fenestre, einem ehemaligen Benedektinerkloster in dem nun ein Posto Tappa untergebracht ist, muss ich mich entscheiden. Absteigen nach St. Martin oder den Monte Prals mitnehmen mit der Chance das Meer zu sehen. Danach aber einen Abstieg von mehr als 2000 hm hinnehmen. Nicht ohne das Kloster besichtigt zu haben, stehe ich zwei Stunden später auf dem Gipfel mit Meerblick. Toll! Der Abstieg, na ja… Erst gegen 20 Uhr baue ich mein Zelt in Roquebillere auf.

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Entspannt…

Im Ristorante bekomme ich ein vernünftiges Frühstück. Das Zelt ist leider feucht geworden, so dass ich es erst einmal nicht einpacke und zum Trocknen an den Rucksack hänge. Der Aufstieg heute ist moderat. An der Alpe Rosterio erwartet mich der Alpler, so wie man ihn sich vorstellt, Rauschebart und über und über mit Kuhmist beschmutzt. Er, seine Frau, Tochter und die Enkel betreiben den Sommer über die Alp, während der Sohn in Turin das Geld verdient. Ein Schnappschuss der Enkel sei auch ohne Fotorechte erlaubt. In Talosia erwartet mich ein Geisterdorf. Das Posto Tappa in der alten Schule ist heruntergekommen, dafür gibt es ein leckeres Abendessen im Ristorante.

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Alpi Marittime

Seit Tagen kündigen sie sich an – die Seealpen. Die Felsformationen werden schroffer, die Täler enger und steiler. Es ist deutlich weniger grün, mediterane Flora setzt sich durch, Weidewirtschaft ist kaum mehr möglich. Das führt zu noch weniger Besiedlung, einsame Täler! Die GTA wechselt ständig zwischen Italien und Frankreich. Überreste der Grenzbefestigungen, zerfallende Militäranlagen, hier war Kriegsgebiet, hier wurde gestorben.

Auf der französischen Seite das Skigebiet Isola 2000. Hier stirbt die Natur! Einplanierte Hänge, Liftanlagen, Infrastruktur. Selbst über 2000 m Beschneiung, das wenige Wasser wird der Natur auch noch entzogen. Wie wiedersinnig: Isola 2000 grenzt direkt an den Naturpark Alpi Marittime, der Welterbe werden soll. Ich tröste mich damit, dass wenigstens die italienische Seite ihre Ursprünglichkeit bewahrt und nehme heute – da genug Zeit – gleich zwei leichte Gipfel mit, bevor ich das Rifugio Malinvern erreiche. Von Weitem grüßt noch einmal der Monviso.

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Im Bann der Argentera

Das Argentera Massiv ist der höchste südliche 3000er der Alpen. Seine Vergletscherung gilt als die südlichste Europas und befindet sich Luftlinie nur 45 km vom Meer entfernt. Das Gestein, aus Gneis und Granit aufgebaut, sorgt für große Wasserundurchlässigkeit und damit für eine Vielzahl von Seen, Bächen und Wasserfällen. Neben dem Steinadler ist der Bartgeier mit einer Population vertreten. Wieder begegnet mir Vittorio Emanuel II. Aus seinem ehemaligen Jagdrevier entstand der Nationalpark Alpi Marittime. Mehr als 50 Pflanzenarten gelten hier als endemisch. Z.B. der Argentera-Steinbrech. Er kann 50 Jahre alt werden, blüht nur einmal und stirbt dann ab. Was für ein Leben! Aus einer Thermalquelle ließ Vittorio ein Thermalbad errichten, das heute, etwas heruntergekommen, seine Tore offen hält. Hier und im angrenzenden Nationalpark Mercantour hat der Alpenwolf sein Hauptverbreitungsgebiet. Doch so viel ich auch heule, bekomme ich leider keine Antwort!:-) Auffällig sind die vielen Steinböcke, die sich besonders zutraulich zeigen. Morgen geht es das letzte Mal auf deutlich über 2000 m aufi, danach verlasse ich die GTA und wandere in Frankreich auf dem GR 52 gemütlich bis Nizza.

Jagdhaus Vittorios in Terme di Valdieri. Versucht der italienische Staat seit Jahren zu verpachten. Niemand möchte es.
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