Dietmar’s Reise Blog

Eines Menschen Seele kann nur so schnell reisen, wie ihn seine Füße tragen.
Indianisches Sprichwort

Der Grande Traversata delle Alpi (GTA).
Der Fernwanderweg durch den “Wilden Westen” der Alpen von der Schweiz bis zum Mittelmeer. 700 Km und ca. 50000 Höhenmeter aufi.
Es sind die vergessenen Alpen des Piemont, die das genaue Gegenteil darstellen, wie die touristisch übererschlossenen Ostalpen. Wer kennt sie schon die Grajischen, Cottischen, Walliser oder Seealpen. Beeindruckende fast menschenleere Landschaften mit Bergen wie dem Rocciamelone, Monviso oder dem Gran Paradiso. Klöster und Nationalparks säumen den Weg, verlassene Weiler zeugen von einst lebhafter Hirten- und Bauernkultur. Seither hat diese Region mehr als 70 % ihrer Einwohner verloren, so dass der Alpenwolf die Region wieder erobern konnte. 36 Rudel ziehen jedes Jahr hier ihre Jungen auf. Die wenigen verbliebenen Hirten haben gelernt, mit dem Wolf zu leben.
In den 70er Jahren entstand die Idee des Fernwanderweges GTA, um Touristen in die Region zu locken. Überwiegend Schweizer, Deutsche und Franzosen entflohen hier den übervollen Berghütten und Gipfeln der Ost- und Zentralalpen. Heute sind auf der GTA nicht wirklich viele Wanderer unterwegs. Man übernachtet in einfachen, urigen familiären Gasthäusern (Albergo) oder Etappenunterkünften (Posto Tappa), welche z.B. in ehemaligen alten Schulhäusern, Poststellen oder in leerstehenden (Militär-) Gebäuden einfach und zweckmäßig eingerichtet wurden. Einige Male bietet sich auch die Möglichkeit in Klöstern zu nächtigen und nebenbei für das eigene Seelenheil etwas zu tun.

Schon dreimal war ich im Piemont unterwegs und es zieht mich immer wieder hierher. Die Etappen des GTA sind herausfordernd. Täglich ca. 15-20 km und mehr als 1000 hm Anstieg wollen bewältigt werden. Heuer habe ich meine in die Jahre gekommene Ausrüstung erneuert und auf „ultralight“ getrimmt. Lediglich 7,8 kg sind inklusive Zelt, Schlafsack, Isomatte und sonstigen Utensilien zusammen gekommen. Starten werde ich in Domodossola ca. 40 km westlich des Lago Maggiore.

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Ossolatal

Nach zehn Stunden Zugfahrt komme ich um 17:30 in Domodossola an. Ein kurzer Spaziergang folgt nach Villadossola, wo ich im Hotel Emiliana übernachte. Beim Essen werde ich unerwartet von Matteo auf deutsch angesprochen. Matteo heißt eigentlich Matthias und hat hier sein Glück gefunden. Er ist mit Anna, der Eigentümerin des Hotels, verheiratet. Es scheint als suche er mal wieder jemanden, um deutsch zu sprechen. So muss ich mir seine gesamte Lebensgeschichte anhören. Na, wenigstens war der Rotwein dafür umsonst. Nach einem für Italien völlig untypischen, reichhaltigen Frühstück geht’s früh los. 1300 hm aufi sind für den ersten Tag schon ein Wort.

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Kastanien, der bescheidene Reichtum des Tales

Die Almwirtschaft brachte in den Ossolatälern nicht wirklich viel ein. Da war der Schmuggel in die Schweiz schon lohnender. Zwischen 500 und 1200 m wachsen hier und in anderen Gebieten Italiens die Esskastanien, die nicht nur zur Selbstversorgung dienten. Von Brot, Viehfutter, Waschmittel bis Bier (heute noch auf Korsika eine köstliche Spezialität) diente die Frucht für fast alles. Erst die Eisenbahn, eine der Hauptstrecken von der Schweiz in die Industrieregionen der Lombardei, brachte der Gegend einen bescheidenen Wohlstand.

Es ist nicht zu heiss heute und der Aufstieg läuft gut. Kurz vor meinem Ziel dem Rifugio Colma bellt mich ein kleiner Hund unerbittlich an. Luigi, sein Herrchen pfeift ihn zurück. Er fragt, woher ich komme und bietet mir einen Espresso in seiner Hütte an. Er ist Rentner und verbringt fast den ganzen Sommer hier oben. Neben seiner Alm steht die Ruine einer kleinen Kapelle. Er erzählt mir, dass diese in Gedenken an zwei Partisanen errichtet wurde, die hier von Deutschen während des Krieges erhängt wurden. Nach einer herzlichen Verabschiedung erreiche ich kurz darauf mein Ziel – das Rifugio Colma.

Luigi und seine Frieda
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Italiens Dolce Vita?

Am Rifugio angekommen werde ich von Patricia und Franco, den Wirtsleuten und einer illusteren Runde von vier Bergfreunden begrüßt. Sie sind heute Morgen aufgestiegen und bitten mich gleich an Ihren Tisch. Mitgebracht haben Sie vier selbstgemachte Schnäpse, die ich natürlich alle probieren muss. Einer besser als der andere… Patricia und Franco sind von Juni bis September hier oben. Den Rest des Jahres halten Sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Heuer haben Sie große Bedenken, ich bin der erste GTA-Wanderer und normalerweise ist der Juli um diese Zeit fast ausgebucht. Derzeit erhielten sie lediglich vier Reservierungen. Corona lässt grüßen. Abends kommt Luigi noch zum Essen dazu. Sie alle machen sich große Sorgen, wie es mit Italien ohne Tourismus weitergehen soll.

Salute
Rifugio Colma mit Patricia und Franco
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Im Walserland

Vom Bündner Land in der Schweiz bis ins nördliche Piemont sind in diesem 300 km langen Alpenbogen 150 Walsersiedlungen zu finden. Die Wanderungen der Walser sind legendär. Ich bin mittendrin im Walserland, überall ist deren Kultur lebendig. Eigentlich sollte diese Tour in Campello di Monti enden. Da ich aber schon um 7 Uhr los bin, habe ich Campello mittags erreicht. Ich beschließe, die nächste Etappe bis San Gottardo/Rimella heute noch hinter mich zu bringen. Eine aussichtsreiche Tour mit erstaunlich vielen bewirtschafteten Alpen. In San Gottardo muss ich leider feststellen, dass das Albergo Edelweiß, eigentlich meine heutige Übernachtung, geschlossen ist. Dann also eine halbe Stunde weiter bis Chiesa. Das Albergo La Fontana hat geöffnet und ich bin der einzige Gast. Zum Abendessen gesellt sich Georg dazu. Er besitzt hier seit Jahren eine Ferienwohnung und spricht perfekt italienisch. Er beschäftigt sich viel mit der GTA. Einige Rifugios und Albergos haben in den letzten Jahren in der Hoffnung auf ein bescheidenes Auskommen investiert, doch nun kam Corona…

Rimella war einmal ein bevölkertes Tal, heute viele Geisterdörfer
Die Almen sind der Verbuschung preisgegeben
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Ein langer Tag

Nach einem reichhaltigen Frühstück geht es heute auf eine lange Tour. 1250 hm abwärts bis Molini danach 1200 hm aufi zum Rifugio del Lago. Das Rifugio ist nicht mehr bewirtschaftet aber als Selbstversorgerhütte ausgestattet. In Molini kaufe ich Brot, Käse und Wurst ein, das muss für heute Abend und morgen früh reichen.

Der Weg aufi zieht sich – nicht besonders aussichtsreich – durch einen dichten Buchenwald. Mein Wasservorrat ist bald aufgebraucht, weder Bach noch Quelle sind in Sicht. Noch dazu kündigt sich ein heftiges Gewitter an, dem ich mich unter einem Felsvorsprung eine gute Stunde lang entziehen muss. Erst gegen 19 Uhr erreiche ich das Rifugio. Ich bin allein hier oben, einem herrlichen Fleckchen Erde. Die Hütte ist gut ausgestattet, nach einem eiskalten Bad im Bach und ein wenig für das leibliche Wohl, falle ich todmüde in meinen Schlafsack.

Die Selbstversorgerhütte Rifugio del Lago in traumhafter Lage
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Gastfreundschaft pur

Die Alpe Baranca ist bekannt durch die außergewöhnliche Herzlichkeit ihrer Wirtin Maria. Heute geht es 1150 hm aufi. Die Alpe liegt auf über 1650 m umringt von einem beeindruckenden Berg-Amphittheater. Ich beeile mich, erneut kündigt sich ein Gewitter für den Nachmittag an. Kurz bevor ich die Alpe erreiche, bricht es auch schon los. Maria freut sich über ihren heute wohl einzigen Gast und stellt mir ungefragt Kaffee und Kuchen hin. Sie und ihr Mann produzieren fast alles selbst. Kühe, Schafe, Ziegen, Hühner, Maulesel und sogar Gemüse wächst unter einem provisorischen Gewächshaus. Dementsprechend üpig fällt das Abendessen und Frühstück aus. Ich frage lieber nicht, woher das Fleisch fürs Abendessen stammt, wohlwissend, dass in den Bergen Italiens gern Maulesel gegessen wird. Die Verabschiedung am nächsten Morgen fällt äußerst herzlich aus. Ich hoffe und wünsche der Alpe alles erdenklich Gute.

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Im Hochalpinen

Heute geht es hoch hinaus. Der Colle Tempo streift knapp die 2500 m Marke. Der Abstieg nach Carcoforo zieht sich und ist steil. Ich beeile mich, wieder baut sich ein Gewitter auf. In Carcoforo muss ich feststellen, dass das Posto Tappa „Hotel Alpenrose“ geschlossen ist. In der einzigen Bar im Ort gibt man mir die Telefonnummer von Daniela, die ein B&B betreibt. Sie besitzt ein altes Walserhaus, dass sie im Obergeschoss geschmackvoll umgebaut hat. Beim Abendessen erzählt sie von ihrer Wolfsbegegnung direkt hier an ihrem Haus. Ich staune, Wölfe so weit nördlich im Piemont? Es hat Jahrzehnte gedauert, bis der Alpenwolf aus den Abruzzen über den Apeninn und das Ligurischen Gebirge in den Seealpen angekommen ist. Jetzt setzt er also seinen Weg nach Norden fort. Beeindruckend! Und gleich am nächsten Tag begegne ich einer Schafsherde mit drei Herdenschutzhunden, den schönen Weißen aus den Pyrenäen! Na, vielleicht doch endlich mal eine Wolfsbegegnung in freier Natur?

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Ein Hauch von Kanada

Das Valle Vogno verbreitet wirklich Rocky Mountains Atmosphäre. Mit einem reissenden Gebirgsbach umringt von 3000ern zieht es sich gewaltig, bis die Pässe auf über 2600 m erreicht sind. Einige Seen hat es auch zu bieten. Seine Schönheit entschädigt für die Mühsal des langen Aufstiegs. Es fehlen hier eigentlich nur noch die Bären, die Wölfe sind ja wohl schon da. Das Rifugio Rivetti liegt auf 2150 m und befindet sich komplett im Nebel. Es ist mir heute egal, ich bin froh, dieses urige Nachtlager erreicht zu haben.

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Welterbe Oropa

Was Lourdes für Frankreich, ist Oropa für Italien. Heute lasse ich mich ein wenig treiben. Die Wallfahrtsstätte Oropa muss einfach besichtigt werden. Die 600 hm aufi von San Giovanni nach Oropa sind bereits früh bewältigt. Die Enttäuschung ist allerdings umso größer, dass Oropa derzeit umfassend restauriert wird. Die Wallfahrtskirche aus dem 17. Jhd. mit der gotischen schwarzen Madonna kann z. Zt. leider nicht besichtigt werden. So schaue ich mir an,  was möglich ist und lege mich erst einmal ins Gras. Die gesamte Anlage erscheint wie ein in das Grün der Wiesen eingearbeitetes von Bergen umgebenes Juwel. Als hätte der liebe Gott diesen Ort selbst ausgesucht! Es ist erst 13 Uhr, somit ist klar, dass ich nicht im Santuario übernachte und mir die knapp 800 hm aufi zum Rifugio Rozzaza noch vornehme. Nach 2 h ist das Rifugio erreicht und Claudia, die Wirtin, freut sich über wenigstens einen Übernachtungsgast. Sie und ihr Freund sprechen gut Englisch und wir sitzen noch lange beisammen.

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