Die Nacht des Bären

Ein Rückblick in die USA. Vor mehr als 35 Jahren war ich zum ersten Mal beruflich in den Staaten. Danach immer wieder. Familiär hatten wir gute Beziehungen zu zwei Onkeln in New York und Vancouver. Und wie alle Kinder der 60er ist man mit Micky Maus, Bonanza, Hollywood-Western und amerikanischer Kultur groß geworden. Der “amerikanische Traum” stellte immer ein Stück weit Vorbild für uns in der alten Welt dar. Nach drei Wochen in den USA, vielen Gesprächen in fünf Bundesstaaten, die allesamt “Trump” Staaten sind, beschleicht uns beide ein Gefühl: Ja, es hat sich etwas verändert in diesem Land! Gespalten war die USA schon immer. In Ost- und Westküste sowie dem mittleren Westen. Doch nun scheint aus dem Spalt ein Riss geworden zu sein. Irgendwie hat das Land viel von seiner Lockerheit und Freundlichkeit verloren. Dies bestätigt sich auch in einem längeren Gespräch mit einem politisch  interessiertem Ehepaar aus Florida, die sich als Trump Gegner outen. Es beschämt uns ein wenig, als sie fragen, ob die Nazis in Deutschland wieder auf dem Weg an die Macht sind!

Zwiegespräch in unserem Wohnmobil. Lisa: “Vorsicht, dahinten steht ein LKW quer!” Didi: “Nein, das ist ein Haus!” Lisa: “Ich glaub es nicht!” Tatsächlich kommt uns ohne Vorwarnung und Blinklicht ein komplettes Haus auf dem Highway entgegen, das die gesamten Fahrbahnen und darüber hinaus ausfüllt. Wir schaffen es gerade noch auszuweichen.

Saskatchewan hat uns wieder. Nur kurz werden wir auf unserem Rückweg nach Halifax dieselbe Strecke wie vor fünf Monaten fahren. Auf dem  Segelflugplatz des Winnipeg Gliding Clubs hatten wir damals eine nette Übernachtung gefunden. Also steuern wir diesen erneut an und treffen Perry wieder, der in seinem Bus den Sommer auf dem Flugplatz verbringt. Die Freude ist groß, und wir haben uns viel zu erzählen.

Nach einem herzlichen Abschied von Perry fahren wir Richtung Kenora. Schilder weisen uns auf ein Freilichtmuseum der Mennoniten hin. Die Mennoniten stammen ursprünglich aus Preußen und sind nach Holland und in die Ukraine ausgewandert. Von da aus siedelten sie nach Kanada und die USA um. Sie sprechen heute noch deutsch und ihre Bibel ist in deutscher Sprache verfasst.

Für das nächste Erlebnis gebe ich an Lisa weiter:
Unser Übernachtungsort in Hearst liegt am Stadtrand, in Nähe des Friedhofs, also ziemlich ruhig. Wir verbringen einen entspannten Abend mit leckerem Essen und gehen früh zu Bett. Morgens um Fünf wundere ich mich, dass Dietmar so unruhig schläft. Hat er etwa Alpträume? Schnell bemerke ich, dass die Geräusche von der Heckgarage kommen. “Da will jemand das Fahrrad stehlen!” so mein erster Gedanke. Schnell springe ich zur Tür und was muss ich sehen: ein Schwarzbär steht am Kotflügel. Tür zu und nach hinten das Fenster öffnen. Tatsächlich da steht er und wundert sich über die plötzliche Störung. Nun ist auch Didi aufgeschreckt, macht Licht und Lärm und der Bär sucht das Weite. Was bleibt, sind ein paar Tatzenabdrücke an der Heckgarage aber keine Schäden. Offensichtlich hatte er die Krallen nicht ausgefahren.

Am nächsten Morgen kommt der Bewohner des Hauses auf der anderen Straßenseite zu uns und fragt, ob der Bär auch bei uns vorbeigeschaut hat? Ich zeige ihm die Tatzenabdrücke an der Heckklappe. Bei ihm hat er die Mülltonnen geplündert und das schon zum zweiten Mal in diesem Sommer.
Eigentlich ist man mit sogenannten “Problembären” nicht zimperlich, es gilt: “A fed baer is a dead bear.” Diesen Spruch kennt hier jedes Kind, füttern von Wildtieren ist verboten.

Wir entfernen uns vom Lake Superior und tauchen ein in die Einsamkeit des Nordens Ontarios. An die Schilder “No Service next 337 km” haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Oft sind wir eine halbe Stunde allein auf der Straße. Die Ortschaften wirken wie Leuchtbojen in der endlosen Weite der Wälder. Die Orte bestehen aus einer Tankstelle mit integriertem Laden, selten noch ein Saloon mit bescheidener Auswahl an Fast Food.

Western-Legende im Schlangenland

Wir lassen die Teton Mountains hinter uns und tauchen ein in die fruchtbaren Ebenen Idahos. Das Landschaftsbild ist geprägt von Getreidefeldern und weithin sichtbaren Silos. Die Vegetation hier ist üppig und lässt auf genügend Niederschläge schließen. Wir befinden uns immer noch auf 1.500 m Höhe und fahren noch einmal Richtung Yellowstone Park. Westkurs ist angesagt, in dem Bewusstsein, dass wir für die 5.000 km bis Halifax, wo wir unsere Rückreise antreten werden, noch fünf Wochen Zeit haben. Langsam ansteigend auf 2.000 m passieren wir erneut den West Eingang des Yellowstone. Mehr als 3.000 km sind wir den Rocky Mountains von ihrem nördlichen Ende aus gefolgt. Jetzt heißt es von den Bergen Abschied nehmen. Noch einmal überqueren wir die Rockies im Yellowstone Park. Die Besichtigung der Mammoth Hot Springs ist ein Highlight, das uns im Yellowstone noch gefehlt hat. Es hat Jahrtausende gebraucht, die beeindruckenden Sinterterassen entstehen zu lassen. Danach verlassen wir über den Nordost Ausgang Richtung Beartooth Pass den Park. Wir folgen dem Shoshonen River auf dem Chief Joseph Highway. Immer wieder halten wir angesichts der überwältigenden Aussicht auf die tief eingeschnittenen Täler des Flusses. Der Dead Indian Hill Pass führt uns auf 2.447 m direkt in die Ebene Wyomings, wo unser nächstes Ziel, die Stadt Cody, liegt.

William F. Cody genannt “Buffalo Bill” galt als die Personifizierung des amerikanischen Western Helden und ist einer der Stadtgründer. Wir besuchen das Buffalo Bill Center. Tatsächlich ist Codys Lebensweg eng verbunden mit der Eroberung des Westens und den letzten Indianerkriegen. Unzählige Erzählungen und Geschichten ranken sich um seine Person, obwohl nicht immer heldenhaft. Internationalen Ruhm erlangt er mit seiner Idee der Westernshow, die er schließlich auch in die alte Welt exportierte. 500 Rinder, Pferde und Bisons sowie 600 Mitwirkende sind Teil seiner Shows. Damit bringt er dem staunenden europäischen Publikum den Wilden Westen bis in die großen Städte Europas hinein. Zu bestaunen im Center ist auch der Ring, den er von König Ludwig nach seiner Show in München geschenkt bekommen hat. Schließlich setzt das aufkommende Kino seinem Erfolg ein Ende. In Cody wird sein Erbe bis heute gepflegt und entwickelte sich zum Touristenmagnet.  

Wir entschließen uns nach Halifax nicht den kürzeren Weg durch die USA zu nehmen, sondern wieder durch Kanada an den großen Seen vorbei, mit der Einsamkeit und Ruhe des hohen Nordens Ontarios und Quebecs zu fahren.

Die Goose Badlands ist eine wüstenähnliche Ebene vor den Bighorn Mountains. Sie beherbergt die größte Population der Westlichen Klapperschlange im Norden der USA. Bei unserer Wanderung sind wir achtsam, sehen allerdings nur ein überfahrenes Exemplar. Wir hätten zwar an den Bighorn Mountains vorbei fahren können, allerdings ziehen uns die Berge magisch an, so dass wir diesen letzten Gebirgszug vor den Great Plains bis auf 2.700 m genießen. Auf der Hochebene taucht plötzlich eine riesige Rinderherde auf. Sie wird von mehreren Cowboys und Cowgirls auf Pferden zusammengehalten und steht wohl vor dem Abtransport ins Tal. Eine tolle filmreife Szenerie, die für einen Western taugen würde.

Wir kommen am Little Big Horn an. 1876 errangen hier die Sioux Indianer den letzten Sieg gegen die Armee des General Custers, zu der auch William Cody gehörte. Es war das Ende der Indianerkriege und konnte ihre Umsiedlung in Reservate nicht verhindern. 

North Dakota ist ein typisches Great Plains Land, durch das unser Weg führt. Die Weizenernte ist in vollem Gange. Auf den riesigen Flächen Mähdrescher aller bekannten Marken und davon ausschließlich die größten Exemplare. Wir passieren mehrere sattgrüne Äcker. Ich kann kaum glauben, was dort wächst. Zuckerrüben! Und das in den regenärmsten Regionen des Landes! Die Rübenäcker sind mit Furchen durchzogen und werden wie Reisfelder bewässert. Die Bodenqualität ist gut, kein Wunder also, dass die Rüben gedeihen.

Im Norden Idahos fahren wir an zahlreiche Ölfeldern vorbei, deren Pumpen sich im gleichförmigen auf und ab von der Eintönigkeit der Landschaft absetzen. Die Felder ziehen sich bis nach Sasketchewan hinein, dass wir nach dem Grenzübertritt nach Kanada erreichen. Mit dem kanadischen Grenzer entwickelt sich ein nettes Gespräch. Unsere Bemerkung, dass wir in den USA nur drei Kanadier getroffen haben, quittiert er nur lächelnd mit einem Schulterzucken. Irgendwie sind wir froh, wieder in unserem geliebten Kanada zu sein.

Tanz auf dem Vulkan

Zum Abenteuer gehört immer ein wenig Risiko. So haben wir es gewagt, die Going-to-the-Sun-Road im Glacier National Park zu fahren. Auch im Vertrauen darauf, dass die Amerikaner meist einen Hang zur Übertreibung haben. Mit grandiosen Ausblicken in tiefe Täler, Gipfelimpressionen und leider schmelzenden Gletschern schlängelt sich die Straße immer dicht am Abgrund entlang. Kitzelig wurde es nur einmal, als uns einer der Besucherbusse entgegen kam. Bis 2030 soll es im Nationalpark keine Gletscher mehr geben, trotzdem bleiben die teils über 3.000 m hohen Berge sicher ein Anziehungspunkt. Wir waren heute wohl das einzige Womo, dass die Road passiert hat, obwohl wir auf Korsika schlimmere Straßenverhältnisse erlebt haben.

Weiter geht die Reise durch Montana nach Süden. Kahle, verdörrte Prärielandschaft prägt hier das Land. Die wenigen Ranches können ohne künstliche Bewässerung ihre Rinder nicht mehr durchbringen. Allerdings führen die wenigen Flüsse und Seen kaum noch Wasser. Überall greift die Verbuschung der Weideflächen um sich. Die fehlenden Niederschläge werden zu einem immer größeren Problem für den Getreideanbau und Viehwirtschaft in Kanada und den USA. Gerade in den Great Plains, der Kornkammer der USA, wird verstärkt mit Bewässerung gearbeitet. Die Folge sind austrocknende Flüsse und sinkende Grundwasserstände.  

“Don´t go to the US”, wie oft hörten wir diese Bemerkung in Gesprächen mit Kanadiern, als wir unsere Absicht kundtaten, den Yellowstone Park zu besuchen. Natürlich ließen wir uns nicht davon abhalten. Und tatsächlich – wir achten insbesondere auf kanadische Autokennzeichen in den zwei Wochen USA und – sehen lediglich drei davon. Die Kanadier meiden ihre Nachbarn, wo es nur geht.

Wir erreichen den Yellowstone National Park von Idaho aus über seinen West Eingang. Mit seiner riesigen Magmakammer in 8 km Tiefe gehört der Yellowstone in die Gruppe der Supervulkane. Tektonisch instabil und mit der weltweit größten Dichte an Geysiren auf einer durchschnittlichen Höhe von 2.400 m liegt der Park mit 9.000 km² Fläche in den Rockies. Er ist der älteste National Park der Welt und zieht jährlich 5 Mio. Besucher in seinen Bann. Auch wir werden Teil der Menschenmassen, die sich allerdings selbst in der Hauptsaison gut verteilen. Die fünf  Campgrounds (CG) sind im August schon ein Jahr im Voraus ausgebucht. Nur Bridge Bay, ein CG am südwestlichen Ende des Parks, hat noch Kapazitäten frei. Dieser wird unsere Ausgangsstation und wir buchen schon gleich für drei Tage.

Es sind nicht die landschaftlichen Schönheiten oder das Wildlife des Parks, sondern die 10.000 heißen Quellen und 500 Geysire, die begeistern. Natürlich darf Old Faithful, der berühmteste unter den Geysiren, auf unserer Tour nicht fehlen. Im Gegensatz  zu den vielen Tagesbesuchern, nehmen wir uns Zeit und konzentrieren uns weniger auf die 5000 Bisons im Park als auf das nach oben beförderte Erdinnere. Die Farbspiele der brodelnden, fauchenden, glucksenden und zischenden Geysiere, Quellen, Fumarolen und Schlammtöpfe hatten wir uns nicht annähernd so spektakulär vorgestellt.

Wir müssen zwar abends zu unserem Campground zurück, können die Touren aber so legen, dass wir in der Lage sind, sämtliche Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Das absolute landschaftliche Highlight ist der Yellowstone Grand Canyon, den wir am letzten Tag im Park besuchen. Noch einmal geht es danach weiter in Richtung Süden zum Grand Teton Nationalpark, der sich an den Yellowstone in den Rockies anschließt. Jackson ist der Hauptort des Teton Nationalparks und gleichzeitig der südlichste Punkt unserer Reise in den USA. Jackson ist eine quirlige Westernstadt. Überall Männer und Frauen in Cowboykluft. Es herrscht eine tolle Stimmung in den Straßen, Saloons und Steakhäusern. Es wirkt nicht aufgesetzt sondern richtig authentisch. Am nächsten Tag fahren wir den Teton Pass hinauf und sind in Idaho. Nach einer Bergtour in den Teton Mountains geht es wieder nach Norden.