Heiss gebadet…

In Watson Lake müssen wir uns entscheiden. Entweder auf dem selben Weg zurück über den Cassira Highway an den Coast Mountains vorbei Richtung Vancouver. Oder wir fahren die östliche Route auf dem Alaska Highway durch die nördlichen Rockies. Das Wetter, in den Coast Mountains ist Dauerregen angesagt, erleichtert uns die Entscheidung für den Alaska Highway.

Der Alaska Highway wurde 1942 als Landverbindung der USA mit Alaska vom Militär durch die kanadische Wildnis in nur 10 Monaten gebaut. Heute beträgt seine Länge 2132 km. Die Routenführung folgt meist alten Indianerpfaden. 1948 wurde er für die öffentliche Nutzung freigegeben und stellt heute die wichtigste Verbindung in die nördlichen Regionen des Yukons und der Northwest Territories dar.

Ab Fort Nelson geht es südwärts. Der 2.500-Seelen-Ort hängt am Tropf des Staates und verliert jedes Jahr fünf Prozent seiner Einwohner. Nicht verwunderlich 500 km im Umkreis nichts als Wildnis. Erfreut sind wir von der Begegnung mit zwei Schwarzbären und zweier Bisonherden. Die Bisons weiden seelenruhig auf den breiten Grasflächen neben dem Highway. Der Campground am Liard River hält eine Besonderheit bereit – die Hot Springs. Kaum dass ich das Wohnmobil eingeparkt habe, packt meine “Mitreisende” ihre Badesachen und verschwindet: “Du kommst ja nach…!” Ob ich mir den “Elfentümpel” wirklich antue, weiß ich allerdings noch nicht. Schon die Indianer bzw. First Nations, wie sie offiziell genannt werden, kannten die Quellen. Plötzlich spricht mich jemand auf Deutsch an. Ich komme mit Alex ins Gespräch. Er ist 2005 als Jugendlicher mit seinen Eltern nach Kanada gekommen und wohnt mit seiner Frau und sechs Kindern 750 km weiter südlich in Fort St. John. Sie verbringen an den Hot Springs im Wohnwagen ihre Ferien. Er erzählt viel vom Leben in Kanada. Die gebratenen Tauben fliegen auch hier nicht durch die Luft. “Mit einem “nine to five Job” verhungerst du zwar nicht, aber um gut zu leben, braucht es entsprechendes Engagement,” so sein Resumee.

Früh sind wir am nächsten Tag wieder auf dem Highway. Bald müssen wir an den verheerenden Waldbränden des Frühsommers vorbei kommen, die uns damals zu dem Umweg nach Norden zwangen. Bereits von Weitem sehen wir verkohlte Stämme und verbrannte Erde. So weit das Auge reicht. Fast zwei Stunden mehr als 100 km fahren wir durch diese trostlose Landschaft. Wie schnell aus einer Traumlandschaft ein Alptraum werden kann!

In Fort John geht es auf Westkurs durch ein anderes Landschaftsbild. Der Peace River schlängelt sich durch ein von Gletschern geformtes tief eingeschnittenes Tal. 1964 wurde der Bennet-Staudamm fertiggestellt und es entstand der Willison Lake, der mit 172 km² flächenmäßig größte Stausee der Welt. Seine Kraftwerke erzeugen 30% des in Britisch Columbia benötigten Stromes.

In Prince George steuern wir direkt Canadian Tire an, ebenfalls eine kanadische Ikone. Das Paradies für Schrauber, Hausfrauen, Angler, Camper etc. Man stelle sich Karstadt, Obi und ATU in einem vor! Es gibt fast nichts, was es nicht gibt und falls doch, wird es kurzfristig besorgt. So langsam wird bei unserem WoMo ein Ölwechsel fällig. Da zwei Ölfilter zu meinem mitgebrachten Ersatzteillager gehören, geht es fix, Termin in einer Stunde, das war’s!

Barkerville, unsere nächste Station, erreichen wir im strömenden Regen. Es war ab 1863 der Hauptort des Cariboo-Goldrausches in British Columbia. Sprunghaft stieg die Bevölkerung auf über 5.000 an, Barkerville wurde der größte Ort nördlich von San Francisco und westlich von Chicago. Nach einem Brand 1898 wurden 90 Gebäude restauriert und wieder aufgebaut, die heute noch zu besichtigen sind. Eigentlich wollten wir hier oben übernachten, doch das schlechte Wetter nutzen wir, um ein wenig Strecke Richtung Whistler zu machen. Nach drei Stunden Fahrt haben sie uns wieder, die schneebedeckten Gipfel der Coast Mountains.

Top of the World

Dawson City, Klondike, Yukon, Makenzie und Jack London. Oft hat der Junge aus Ohlendorf von der weiten Welt und diesen Namen geträumt! Die Zeit scheint stillzustehen in Dawson. Gleich kommt Jack London um die Ecke, könnte man meinen. Die Stadt hat sich vieles bewahrt. Mehr als die Hälfte der Häuser aus der Goldrauschzeit stehen noch, wenn auch der auftauende Permafrostboden den Erhalt immer aufwändiger gestaltet. Dawson wirkt wie ein belebtes Museumsdorf. Vor der Stadt fährt man heute noch kilometerweit an den Geröllhalden der Goldsucher vorbei, in denen Glück und Unglück gleichermaßen steckt. 1897 nahm die Einwohnerzahl innerhalb weniger Monate von 300 auf 30.000 zu. Derzeit leben ganzjährig 300 Menschen in Dawson.

Am nächsten Tag nehmen wir die Fähre über den Yukon Richtung Alaska. Kostenlos und Baujahr 1962. Na ja, sie hat sichtlich Mühe gegen die starke Strömung des Yukons. Auf- und Abfahrt sind nicht etwa betoniert, sondern nur geschottert. Es steht auf jeder Seite ein Radlader bereit, der einen bei Problemen gleich an den Haken nimmt. Irgendwie wirkt alles nach Pionierzeit.

Der Top of the World Highway, so heißt er wirklich, ist fast durchgehend Schotter. Die Landschaft kann man durchaus als Schwarzwald XXL bezeichnen. Vollständig bewaldet mit bis zu 800 m tiefen Schluchten. Nach Norden bis zum Arktischen Ozean 1500 km völlig menschenleere Wildnis. Wir erreichen Chicken, der einzige Lichtblick in dieser Region. Im Sommer von 120 Menschen bewohnt, den Winter über nur zwei Bewohner, der Postbeamte und der Bürgermeister. Der Ort ist für Alaska Reisende Kult! Es gibt eine urige Kneipe und einen Andenkenladen, der mit allerlei Trödel die Durchreisenden bedient. Wir genehmigen uns zwei alaskanische Bierchen und übernachten kostenlos im Hinterhof der Kneipe. “Free Camping”

Am nächsten Tag in dieser Gott verlassenen Gegend die Grenze zur USA. Wir hatten von Horrorgeschichten gehört. Kühlschränke wurden durchsucht, Lebensmittel insbesondere Eier beschlagnahmt etc. Nichts dergleichen, uns erwarten äußerst freundliche Grenzer, die wahrscheinlich froh sind, endlich mal wieder ihren Job tun zu dürfen. Die übliche Prozedur. Biometrischer Abgleich unserer Reisepässe, Fingerabdrücke beider Hände. Wo es denn hingeht? “Have a nice trip”, das war´s!

Wir sind in Alaska. Der Top of the World Highway geht in den wohltuend asphaltierten Taylor Highway über. Nach gut drei Stunden erreichen wir Tok, das Tor nach Alaska. Nachdem wir 2019 vier Wochen Alaska erleben durften, ist die Versuchung nicht allzu groß, den größten Bundesstaat der USA wieder zu sehen. Ein anderes Mal!

Einen Car Wash in Tok nutzen wir, um unserem völlig verdreckten Gefährt etwas Gutes zu tun. Neben uns waschen zwei Männer mit langen Bärten gemeinsam mit drei Jungs ihr Wohnmobil. Wir kommen ins Gespräch. Es sind Mennoniten, von der moderneren Sorte. Sie betreiben eine Hühnerfarm und nutzen auf dieser drei Fendt Schlepper.

Wir nehmen den Alaska Highway unter die Räder und passieren kurze Zeit später wieder die Grenze zu Kanada. Die Wrangell St.Elias Mountains beheimaten das größte Eisfeld außerhalb der Arktis. Atemberaubende Landschaften verbinden sich auf der kanadischen Seite mit dem Kluane Nationalpark zu einem UNESCO Weltnaturerbe. Ab Haines Junction biegen wir in eine 240 km lange Sackgasse nach Haines ein, in der Hoffnung, eine Fähre nach Skagway zu bekommen. So toll die Landschaft auf den 240 km ist, so heruntergekommen stellt sich Haines dar. Eine Fähre geht erst wieder in drei Tagen und ein Platz ist nicht garantiert. Es regnet die ganze Nacht in Strömen. Am anderen Morgen beschließen wir, die 240 km zurückzufahren, so dass wir abends ein zweites Mal Whitehorse erreichen. Gerade rechtzeitig zum Canada Day. Dieser wird in allen Städten mit einer Parade gefeiert, die wir uns natürlich anschauen. Anschließend eine Feier im Stadtpark mit Live Musik und allerlei kulinarischen Köstlichkeiten.

Der Alaska Highway hat uns wieder. Es geht weiter über Carcross nach Atlin, wieder in eine 70 km lange Sackgasse. Wohl ein Dutzend Bären sind uns bisher begegnet, doch so ein tolles Exemplar wie auf dem Weg nach Atlin lässt uns den Atem stocken. Ein ausgewachsener Grizzly seelenruhig beim Pflanzen fressen! Er ignoriert uns völlig. Wir genießen es, mit ihm allein zu sein. Am Ende der Sackgasse schließt sich der Atlin Regional Park an. Es ist Grizzly Land. Nur wenn man in der Park Verwaltung seinen Hikingplan hinterlässt, darf man ihn betreten. Wir beschränken uns auf eine kurze Wanderung zu einer heißen Quelle, die schon den First Nations bekannt und nützlich war.